Kommentar vom DDF-Vorsitzenden Dr. Warz:

SOS Aktionsfelder der Gesundheitspolitik

Im September 2021 hat die Diabetiker-Allianz (DA) SOS-Aktionsfelder der Gesundheitspolitik formuliert und sich damit an die im Bundestag vertretenen Parteien gewandt.
Im Koalitionsvertrag finden sich viele gesundheitspolitische Vorhaben wieder, die sich mit den Forderungen der Selbsthilfe decken.

Dr. Klaus-Dieter Warz, DDF-Vorstandsvorsitzender, hat für unsere Leserinnen und Leser eine persönliche Einschätzung zu den großen Themenblöcken vorgenommen und kommentiert:

Forderung: Die qualifizierte, spezialisierte und wohnortnahe Versorgung der Menschen muss sichergestellt sein!

Koalitionsvertrag:

  • Alle Menschen in Deutschland sollen gut versorgt und gepflegt werden – in der Stadt und auf dem Land.
  • Wir wollen einen Aufbruch in eine moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik …
  • Wir sorgen für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung und eine menschliche und qualitativ hochwertige Medizin und Pflege.
  • Wir verbessern die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe und Pflegekräfte.

Kommentar Dr. Warz:

Konkrete Maßnahmen und deren rasche Umsetzung sind dringend erforderlich!  Nicht zuletzt angesichts des sich verschärfenden Hausärztemangels, denn viele Hausärzte im Renteneintrittsalter finden keine Nachfolge. Vor allem in ländlichen Regionen drohen Lücken in der medizinischen Versorgung. Davon betroffen ist auch eine hohe Anzahl Diabetikerinnen und Diabetiker, die überwiegend in den hausärztlichen Praxen ambulant behandelt werden.

Ergänzend zu der medizinischen Leistung der Ärztinnen und Ärzte im ländlichen Raum würde ich es begrüßen, wenn hausärztliche Versorgungsassistenten (www.verah.de) und zusätzlich Patientenlotsen für die individuelle Betreuung eingesetzt werden. Vieles könnte so abgefedert werden, denn nicht immer ist ein Arztbesuch erforderlich. Zudem sehe ich die Notwendigkeit und große Chancen für digitale Gesundheitsanwendungen, telemedizinische Leistungen und Videoschulungen, die jetzt stärker in den Fokus rücken. Doch das Ziel muss die wohnortnahe Gesundheitsversorgung der Menschen sein.

Die Situation der Diabetologie in den Kliniken gestaltet sich ebenfalls schwierig. Auch hier gerät die sog. „Sprechende Medizin“ immer mehr in den Hintergrund, denn diese Leistungen werden oft nicht angemessen vergütet. Apparatemedizin und Kostensenkungen bestimmen immer noch den Klinik-Alltag. Werden die diabetologischen Fachabteilungen geschlossen, macht sich das verschärfend in fehlenden Ausbildungsplätzen für den ärztlichen Nachwuchs bemerkbar. Aus unserer Sicht muss die weitere Kommerzialisierung und Privatisierung der Krankenhäuser gestoppt werden. Das gegenwärtige Krankenhaus-Finanzierungssystem (DRG) gilt es in ein System zu überführen, das sich am Menschen orientiert und Überschüsse reinvestiert.

Forderung: Die Prävention muss von der Politik intensiv vorangetrieben werden!

Koalitionsvertrag:

  • Wir entwickeln das Präventionsgesetz weiter und stärken die Primär- und Sekundärprävention …
  • Wir unterstützen die Krankenkassen und andere Akteure dabei, sich gemeinsam aktiv für die Gesunderhaltung aller einzusetzen.
  • Wir schaffen einen Nationalen Präventionsplan sowie konkrete Maßnahmenpakete
  • z.B. zu den Themen Alterszahn­gesund­heit, Diabetes, Einsamkeit, Suizid, Wiederbelebung und Vorbeugung von klima- und umweltbedingten Gesundheitsschäden.

Kommentar Dr. Warz:

Prävention ist das A und O. Seit Jahren wird über Präventionsmaßnahmen zur Eindämmung von Diabetes, Adipositas und deren Folgeerkrankungen geredet. Die Dringlichkeit scheint erkannt, allein es fehlt an Taten. Es gilt drei große Handlungsfelder zu unterscheiden und bei allen sind die qualitätsgesicherten, zielgruppengerechten Informationen der Schlüssel zum Erfolg:

  1. Diabetes vermeiden.
    Dazu zählen
  • die Verbesserung des Wissensstandes über Diabetes mellitus,
  • die Verbesserung der Kenntnis über das individuelle Diabetesrisiko,
  • die Förderung von gesundheitsförderlichem Verhalten.
  1. Diabetes früh erkennen.
    Durch
  • die Verbesserung des Wissensstandes zu anerkannten Früherkennungsmöglichkeiten sowie
  • eine Steigerung der Inanspruchnahme der Früherkennung (Check-Up und GDM-Screening).
  1. Diabetes gut behandeln.
    Dafür gilt es den Wissensstand zu folgenden Punkten zu verbessern:
  • Diabetes mellitus und diabetesbedingte Folgeer­krankungen
  • Den nach wissenschaftlichen Standards anerkannten Möglichkeiten des Selbstmanagements von Diabetes mellitus
  • Zugang zu bestehenden Versorgungsangeboten
  • Sicherstellung eines hohen Qualitätsstandards bei pflegebedürftigen oder dementen Diabetespatienten.

Unsere Forderung ist die Verzahnung von Verhältnis- und Verhaltensprävention. Deshalb müssen zudem die altbekannten Klassiker endlich auf den Weg gebracht werden: Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richten, Steuersenkungen für gesunde Lebensmittel, Bewegungs- und Aufklärungskampagnen an Kitas und Schulen.

Forderung: Die Potenziale der Selbsthilfe im Gesundheitssystem nutzen!

Koalitionsvertrag:

  • Mit einer Reform des G-BA beschleunigen wir die Entscheidungen der Selbstverwaltung, stärken die Patientenvertretung und räumen der Pflege und anderen Gesundheitsberufen weitere Mitsprachemöglichkeiten ein, sobald sie betroffen sind. Der Innovationsfonds wird verstetigt.
  • Für erfolgreiche geförderte Projekte, wie die der Patientenlotsen werden wir einen Pfad vorgeben, wie diese in die Regelversorgung überführt werden können.

Kommentar Dr. Warz:

Wir freuen uns über die Stärkung der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und die Sicherung der Nachhaltigkeit von Projekten des Innovationsfonds durch direkte Teilhabe der Patientenvertreter.

Die Verankerung der Patientenlotsen als weitere komplementäre und innovative Säule im Gesundheitssystem, schafft Verbesserungen in der Versorgung und in der Effizienz (siehe Infokasten). Mit unseren Patientenlotsen und dem Projekt „PaCo- Patienten-Coaches“ stellen wir ein Modellprojekt zur Verfügung, das auch für die Patientenlotsen anderer chronischer Krankheiten adaptierbar ist. Hierzu suchen wir den Dialog mit den Entscheidern.

Quellenangaben

Text: Dr. Warz, Vorstands-Vorsitzender der Deutschen Diabetes-Föderation DDF
Elke Spaeth, Pressereferentin der DDF
Datum der Veröffentlichung: März, 2022

Literatur: Diabetes Journal 2022, Ausgabe 5